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Ausgabe
FOCUS Ausgabe 28/2024
04.07.2024
Freitags ab 18 Uhr
Meldung

FOCUS Magazin exklusiv: Winkler attestiert liberalen Eliten in Teilen „moralischen Größenwahn“

Berlin. Heinrich August Winkler sieht an der aktuellen Misere der liberalen Demokratien auch eine Mitschuld der liberalen Eliten. „Bei der sogenannten Flüchtlingskrise ist in Deutschland deutlich geworden, wie sehr gute Absichten und moralische Haltungen zu gefährlichen Schlussfolgerungen führen können. Bis hin zu dem, was man moralischen Größenwahn nennen könnte“, sagte der Historiker im Gespräch mit dem Berliner Nachrichtenmagazin FOCUS. Man werde sich in Zukunft fragen müssen, was die „liberalen Kräfte im weitesten Sinne falsch gemacht haben“.

Winkler gibt auch der Ansprache der Politiker an die Wähler eine Mitschuld: Die „politischen Eliten“ würden immer wieder „am Gros der Bevölkerung vorbei“ reden oder den Eindruck erwecken, „als ob sie sich der ‚dumpfen Provinz‘ gegenüber haushoch überlegen fühlen“. Sie würden dabei so tun, „als ob nur sie wüssten, wie sich der Rest der Gesellschaft zu entwickeln habe“. Als Beispiel dafür nennt Winkler das Zitat von US- Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton, die im Wahlkampf der Demokraten 2016 vom „Basket of deplorables“ („Korb der Erbärmlichen“) sprach, um die Anhänger Donald Trumps zu diffamieren. Das sei ein „Bumerang und nicht untypisch für eine Mentalität der elitären Überforderung“. Politiker müssten „eigentlich wissen“, dass es zur Demokratie gehöre, um Mehrheiten zu kämpfen.

Winkler kritisiert auch explizit die Haltung im linken Lager in Deutschland: „Manche Äußerungen aus dem eher linken Lager liefen auf eine Art deutsches Moralmonopol hinaus, das zutiefst irritierend für unsere Nachbarn war.“ Es gebe dort die Überzeugung, „dass es aufgrund unserer schrecklichen nationalistischen und militaristischen Vergangenheit eine besondere deutsche Pflicht zum Pazifismus gäbe“. Das sei aber eine „illusionäre Kollektiv-Egozentrik“: „Als ob wir allein auf der Welt wären.“

Fragen und Antworten im Wortlaut:

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Und werden die Historiker dereinst sagen: Wie konnten die Europäer das sehenden Auges zulassen? Oder wird es heißen: Es war nicht vorherzusehen, was da geschah? Man wird sich fragen müssen, was die liberalen Kräfte im weitesten Sinne falsch gemacht haben.

Und zwar? Eine ganze Menge. Bei der sogenannten Flüchtlingskrise ist in Deutschland deutlich geworden, wie sehr gute Absichten und moralische Haltungen zu gefährlichen Schlussfolgerungen führen können. Bis hin zu dem, was man moralischen Größenwahn nennen könnte. Das ist ein Phänomen, das uns auch schon vorher, in den Jahrzehnten nach 1945, begegnet ist. Es gab in der alten Bundesrepublik eine Tendenz zu sagen: Weil wir Deutsche den Nationalismus bis zum Äußersten getrieben haben, gerade deswegen sind wir berufen, Europa in der supranationalen Einigung voranzubringen. So Oskar Lafontaine 1988 in seinem Buch „Die Gesellschaft der Zukunft“. Eine tollkühne dialektische Volte. Das führte auch zu der verbreiteten Überzeugung, dass es aufgrund unserer schrecklichen nationalistischen und militaristischen Vergangenheit eine besondere deutsche Pflicht zum Pazifismus gäbe. Es ist eine illusionäre Kollektiv-Egozentrik. Als ob wir allein auf der Welt wären. Manche Äußerungen aus dem eher linken Lager liefen auf eine Art deutsches Moralmonopol hinaus, das zutiefst irritierend für unsere Nachbarn war. Aber das Problem hat auch noch ganz andere Facetten.

Welche? Dass die politischen Eliten in ihrer Sprache immer wieder am Gros der Bevölkerung vorbei reden oder den Eindruck erwecken, als ob sie sich der „dumpfen Provinz“ gegenüber haushoch überlegen fühlen und als ob nur sie wüssten, wie sich der Rest der Gesellschaft zu entwickeln habe. Das klassische Beispiel für dieses Phänomen stammt aus den USA mit dem berühmt-berüchtigten Zitat von Hillary Clinton, der Präsidentschaftskandidatin der Demokraten von 2016, die vom „Basket of deplorables“, dem „Korb der Erbärmlichen“, sprach – und damit die Anhänger Donald Trumps meinte. Das war ein Bumerang und nicht untypisch für eine Mentalität der elitären Überforderung des Restes der Gesellschaft durch Politiker, die eigentlich wissen müssten, dass es zur Demokratie gehört, um Mehrheiten zu kämpfen.

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